Mit Natalie Lama und Lara Assi einen Blick in die Zukunft der Kunst im Web3 werfen

Von gelangweilten Affen, über Comic-Katzen bis zu Bildcollagen: Für digitale Kunstwerke sogenannte Non-Fungible Token (NFT) werden zurzeit unvorstellbare Summen bezahlt. Aber was hat es mit dem NFT-Hype genau auf sich? Welche Folgen hat er für den globalen Kunstmarkt und welche Möglichkeiten bietet er für Künstler*innen aus dem Globalen Süden? Ein Interview mit Natalie Lama, eine Web3-Pionierin aus Jordanien und Lara Assi, eine leidenschaftliche Web3-Beraterin und Pädagogin aus dem Libanon.
Lara, Sie sind begeisterte Web3-Beraterin und -Trainerin. Könnten Sie das für diejenigen, die noch nicht damit in Berührung gekommen sind, kurz entmystifizieren?

Lara: Wenn Sie zehn Experten*innen fragen, was Web3 ist, werden sie Ihnen zehn verschiedene Antworten geben! Das Web3 ist die Weiterentwicklung des Internets, wie wir es heute kennen. Stellen Sie sich das heutige Internet als einen Ort vor, an dem Sie Webseiten besuchen und mit Anwendungen von großen Unternehmen interagieren. Das Web3 hingegen ist eine völlig neue digitale Landschaft, in der Eigentum und Kontrolle dank der Blockchain-Technologie in den Händen der Endnutzer*innen liegen. Im Web3 sind Sie nicht nur Nutzer*in, sondern auch Teilnehmer*in. Sie haben die Möglichkeit, digitale Vermögenswerte wie Non-Fungible Token (NFT) zu besitzen, mit anderen Teilnehmer*innen ohne Vermittler*innen zu interagieren und sicherzustellen, dass Ihre Aktivitäten privat und sicher bleiben. Kurz gesagt: Sie haben die Freiheit, wie nie zuvor zu erforschen, zu handeln und zu gestalten. Sie haben das Steuer in der Hand!

 

Was ist der Hype um NFTs im Web3 und wie verwandeln sie Kunst in hochwertige digitale Güter?

Lara: NFTs sind wie digitale Eigentumszertifikate für einzigartige Gegenstände im Internet, die in einer Blockchain gespeichert sind. Das ist so, als würde man ein digitales Picasso-Gemälde kaufen und jeder kann sehen, dass es einem gehört. NFTs stellen einen Wendepunkt im Bereich der Kunst dar. Künstler*innen können nun digitale Kunstwerke schaffen, sie mit einer NFT verknüpfen und direkt an Sammler*innen verkaufen. Das bedeutet, dass die Künstler*innen für ihre Werke fair bezahlt werden und die Sammler*innen einen Eigentumsnachweis haben, was den Wert der Kunstwerke im Laufe der Zeit steigern kann. NFTs sind so etwas wie die neue Währung der digitalen Kunstwelt und machen es für Künstler*innen einfacher und profitabler, ihre Werke über ein globales Portal zu vermarkten.

 

Was macht das Web3 zu einem Wendepunkt für die Kreativwirtschaft?

Lara: Das Web3 spielt in der Kreativwirtschaft eine zentrale Rolle, da es Künstler*innen und Kreativen noch nie dagewesene Möglichkeiten eröffnet. Es bietet eine dezentralisierte Struktur, in sie ihre Kunst direkt vermarkten und mit ihrem Publikum in Kontakt treten können, ohne dass Vermittler*innen notwendig sind. Kreative, die zu Web3 wechseln, erhalten mehr Kontrolle über ihre Inhalte und Finanzen und fördern so ein faires und nachhaltigeres Ökosystem für die Kreativwirtschaft.

Natalie, bitte erzählen Sie uns, wie Sie Web3-Künstlerin wurden und was NFTs für Sie bedeuten.

Natalie: Meine Reise als Web3-Künstlerin war eine spannende Entwicklung. Zunächst habe ich versucht, meine fotografischen Abzüge hier in Jordanien zu verkaufen. Meine Kunstwerke stellen jedoch die sozialen Normen der arabischen Welt in Frage, was dazu führte, dass mehrere Galerien und Ausstellungen sich weigerten, meine Arbeiten auszustellen. Im Jahr 2021 entdeckte ich durch einen Freund Web3: Ich konnte meine Arbeiten als NFTs veröffentlichen, ohne zensiert oder verurteilt zu werden. Web3 ermöglichte es mir, internationale Sammler*innen und Künstler*innen zu treffen, die ich auf dem traditionellen Kunstmarkt nicht getroffen hätte. Seitdem habe ich zwei Kollektionen verkauft und an der ersten NFT-Kunstausstellung in Kuwait, der NFT NYC und verschiedenen Metaverse-Ausstellungen teilgenommen.

© Natalie Lama
Was ist Ihre Meinung zu der NFT-Kontroverse und was sind die Hindernisse für Menschen, die sich für den Einstieg in den Web3-Bereich interessieren?

Lara: Ja, die Skepsis ist definitiv vorhanden. Wenn wir genauer hinschauen, sehen wir, dass sie von Krypto-Skepsis und Fehlinformationen stammt. Ich kann Ihnen versichern, dass der Kampf um das Web3 nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist, sondern vielmehr mit den Tech-Giganten zu tun hat. Wir sind schon so lange das Produkt, dass die Tech-Giganten und die Leute an der Macht aktiv daran arbeiten, den Dezentralisierungsaspekt des Web3 zu untergraben, indem sie es mit illegalen Aktivitäten in Verbindung bringen. Alle Branchen sind anfällig für Korruption und illegale Praktiken, denn wir Menschen diktieren den gewünschten Output der Technologie. Ich würde den Leuten raten, „DYOR (do your own research)“ – ihre eigene Recherche zu machen und sich nicht von allgemeinen Stimmungen beeinflussen zu lassen. Ich glaube, der Hauptschmerzpunkt für Menschen, die ins Web3 einsteigen wollen, ist die technische Barriere. Die Einrichtung digitaler Geldbörsen, das Verständnis für den Handel mit NFTs und des Web3-Ökosystems reichen aus, um Neulinge zu überfordern. Deshalb setze ich mich für die Web3-Ausbildung ein.

 

Wie wirkt sich das Aufkommen von Web3 auf die Teilnahme von Frauen am internationalen Kunstmarkt aus und welchen kulturellen Herausforderungen stehen sie gegenüber?

Lara: Das Web3 hat den globalen Kunstmarkt demokratisiert, indem es die Eintrittsbarrieren gesenkt hat. Die globale Reichweite von Web3 ermöglicht es Künstlerinnen, ein weltweites Publikum zu erreichen, ohne die geografischen Einschränkungen, die traditionell mit dem Kunstmarkt verbunden sind. Dort, wo ich herkomme, mussten Frauen lange Zeit immer brav sein und durften nie eine Grenze überschreiten, die das atriarchalische System stören könnte. Das Besondere an Web3 ist, dass Frauen sich jetzt ausdrücken können, wie sie wollen, und ihre Kunst einer globalen Gemeinschaft bequem von zu Hause aus zeigen können. Schauen Sie sich Natalies Arbeit an. Unsere Gesellschaft würde solch progressive Kunst niemals akzeptieren, geschweige denn unterstützen. Natalie hat ihre Gemeinschaft gefunden, und diese wiederum hat ihre Kunst gefunden. Ihre Kollektionen sind ausverkauft! Vielen Dank an Web3.

Natalie, können Sie bitte Ihre Erfahrungen als NFT-Künstlerin in Jordanien beschreiben?

Natalie: Eine NFT-Künstlerin in Jordanien zu sein, hat eine einzigartige Bedeutung. Ich bin stolz darauf, Teil einer wachsenden Gemeinschaft von digitalen Künstler*innen in meinem Land zu sein: neue Wege zu gehen und die Grenzen der lokalen Kunstszene zu erweitern. Das bedeutet auch, dass ich als Künstlerin die Verantwortung habe, die NFTs in meiner Gemeinschaft bekannt zu machen. Sie sind die Zukunft und eröffnen Türen zu Jobmöglichkeiten, von denen die Menschen noch nichts wissen.

© Natalie Lama

“Ich bin stolz darauf, Teil einer wachsenden Gemeinschaft von digitalen Künstler*innen in meinem Land zu sein: neue Wege zu gehen und die Grenzen der lokalen Kunstszene zu erweitern. [NFTs] sind die Zukunft und eröffnen Türen zu Jobmöglichkeiten, von denen die Menschen noch nichts wissen.”

Natalie Lama

Was wünschen Sie sich für die NFT-Gemeinschaften in Ihrem Land und Ihrer Region?

Natalie: Mein Ziel ist es, eine lebendige und unterstützende NFT-Gemeinschaft in Jordanien und der gesamten Region zu fördern. Indem wir uns mit anderen Künstler*innen und Enthusiast*innen zusammenschließen, können wir diese Bewegung gemeinsam vorantreiben. Ich hoffe, dass mehr einheimische Talente auftauchen und sich im NFT-Bereich entfalten.

 

Lara, unterscheidet sich das Gemeinschaftsgefühl im Web3 von dem in anderen Bereichen des Lebens?

Lara: Im Web3 geht die Idee der Gemeinschaft über die Grenzen von Zeit, Raum und Kultur hinaus. Die Gemeinschaft ist die grundlegende Infrastruktur. Ohne Gemeinschaft gibt es kein Web3. Das ganze Konzept der Dezentralisierung basiert darauf, dass Einzelpersonen (und nicht Unternehmen) ein Mitspracherecht haben. Mitmachen und belohnt werden. Vom passiven Verbraucher zum aktiven Stakeholder. Das ist unglaublich ermutigend, vor allem für diejenigen, die sich ausgeschlossen oder ausgegrenzt fühlen.

 

Wie unterstützen die Web3-Gemeinschaften für Frauen aufstrebende Künstlerinnen?

Lara: Frauen im Web3 legen großen Wert darauf, dass sich mehr Frauen in der Branche engagieren. Erfahrene Künstlerinnen und Branchenführerinnen geben ihr Wissen und ihre Erfahrung eifrig weiter. Ich selbst wurde von großartigen Frauen in diesem Bereich als Mentorin betreut. In den weiblichen Web3-Communities findet ein dynamischer Austausch statt, der die Talente von Frauen auf ein neues Niveau bringt. Diese Gemeinschaften sind sicher und laden Frauen dazu ein, sich frei zu äußern und beraten zu lassen. Diese Gemeinschaften arbeiten zusammen, um Barrieren abzubauen, Stereotypen zu überwinden und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich aufstrebende Künstlerinnen entfalten können.

“In den weiblichen Web3-Communities findet ein dynamischer Austausch statt, der die Talente von Frauen auf ein neues Niveau bringt. […] Diese Gemeinschaften arbeiten zusammen, um Barrieren abzubauen, Stereotypen zu überwinden und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich aufstrebende Künstlerinnen entfalten können.”

Lara Assi

 

Natalie, als Vorreiterin der ersten NFT-Kunstausstellung in Jordanien, können Sie uns etwas über Ihre Begegnung, den Hindernissen, mit denen Sie konfrontiert waren, und den Empfang durch Ihr Publikum erzählen?

Natalie: Die Initiierung der ersten NFT-Kunstausstellung in Jordanien war eine bahnbrechende Erfahrung. Die NFT-Ausstellung wurde für Künstler*innen aus dem Nahen Osten und Nordafrika organisiert. Dennoch haben sich Künstler*innen aus der ganzen Welt an dem offenen Aufruf beteiligt. Wir standen vor einigen Herausforderungen, z. B. der Navigation der Kunstwerke auf dem Bildschirm (es waren sehr große Bildschirme). Es war erfrischend, auch Unterstützung von Web3-Experten aus dem Libanon zu bekommen, die schon früher NFT-Ausstellungen gemacht haben. Die Resonanz und das Interesse, das wir nach der Ausstellung erhielten, war unglaublich positiv. Viele Leute waren nach der Ausstellung sehr neugierig – fragten nach NFTs und wie das alles funktioniert. Es war inspirierend zu sehen, wie die lokale und regionale Gemeinschaft zusammenkam, um digitale Kunst und NFTs zu feiern.

 

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer Teilnahme an der Konferenz der Kultur- und Kreativwirtschaft in Amman, Jordanien, im September 2023, zu der auch die Teilnahme an der NFT-Kunstausstellung und die Podiumsdiskussion/Workshop gehörten?

Lara: Was für eine Erfahrung! Ich kann gar nicht beschreiben, wie herzerwärmend es war, den Wissensdurst der jordanischen Jugend im Web3 zu sehen. Es hat mir Spaß gemacht, die Podiumsdiskussion zu leiten. Am Ende haben wir das Zeitlimit um 15 Minuten überschritten, um alle Fragen des Publikums zu beantworten. Wir haben versucht, so wenig wie möglich über technische Details zu sprechen, aber wir mussten feststellen, dass die Teilnehmer*innen mehr wissen wollten. Außerdem haben wir vielleicht die erste Web3-Community in Jordanien ins Leben gerufen! Die Beteiligung an der Ausstellung übertraf unsere Erwartungen. Mein persönliches Highlight der gesamten Ausstellung war es, die stolzen Gesichter der jordanischen NFT-Künstler*innen zu sehen und wie sehr sie sich darauf freuten, ihre digitale Kunst mit Freund*innen und Familien zu teilen.

 

Die in diesem Interview geäußerten Meinungen liegen in der alleinigen Verantwortung der Interviewpartner*innen und stellen nicht unbedingt die offizielle Position des BMZs oder der GIZ dar. Das Interview wurde im Rahmen des GIZ Globalprojekts Kultur- und Kreativwirtschaft geführt.

Lara Assi ist eine erfahrene Web3-Beraterin und -Trainerin aus Beirut, Libanon. Ihr Fachwissen im Bereich Web3 begann mit immersiven Technologien und erweiterte sich später zu digitalen Assets und dezentralisierten Anwendungen. Nachdem sie in Saudi-Arabien aufwuchs, sammelte sie weitere Erfahrungen an der Elfenbeinküste und in London. Lara engagiert sich für die Stärkung von Frauen in der Tech-Branche, die Förderung finanzieller Unabhängigkeit und die Förderung der Vielfalt im Web3-Bereich.

Natalie Lama ist in Jordanien geboren und eine aufstrebende NFT-Künstlerin. Ihre jüngste Ausstellung „My Escapism“ hat internationale Anerkennung erhalten. Ihre Werke veranschaulichen mühelos das Konzept, sich von der Realität zu lösen, und fangen diese Befreiung durch ihre stimmungsvollen Fotografien der jordanischen Natur gekonnt ein. Das Ergebnis ist eine lebendige und fesselnde persönliche Realität, in die sich Natalie von der Alltagswelt zurückziehen kann.