Faire Plattformarbeit

Laut Prognosen werden 2025 ein Drittel aller Jobangebote weltweit über digitale Arbeitsplattformen wie Uber, Deliveroo und Fiverr laufen. Immer mehr Firmen setzen auf freelance und kurzfristige Jobs – sog. „gigs“ – anstatt auf Festanstellungen; die  Gig Economy wächst rasant.

Diese Arbeitsaufträge werden meist über digitale (Arbeits-)Plattformen vermittelt. Sie werden dabei entweder als sogenannte Cloudwork online vermittelt und ausgeführt (z.B. Programmierungs- oder Designaufträge) oder als location-based work online vermittelt aber analog und ortsgebunden ausgeführt (z.B. Fahr- und Lieferdienste).

Etwa 40 Mio. Menschen in Ländern geringen und mittleren Einkommens verdienen einen Teil oder ihren ganzen Lebensunterhalt in der Gig Economy, Tendenz steigend. Digitale Plattformen tragen damit zur Schaffung von Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten bei und senken mögliche Eintrittsbarrieren in den Arbeitsmarkt. Plattformen agieren als Intermediäre, die Angebot und Nachfrage verbinden, aber auch die Rahmenbedingungen für Austausch und Verhalten der Arbeiter*innen sowie Auftraggeber*innen setzen.

Trotz ihrer zentralen Stellung treten Plattformunternehmen dabei oftmals als reine Arbeitsvermittler auf und klassifizieren die Arbeiter*innen, die für sie arbeiten, als unabhängig Beschäftige bzw. Selbstständige. Dadurch entfallen wichtige gesetzliche Sorgfaltspflichten. Dies führt zu einer Prekarisierung von Arbeit und wachsenden Machtasymmetrien zwischen Plattformen und Arbeiter*innen. Die Letzteren leiden häufig unter schlechter Bezahlung, langen Arbeitszeiten, intransparenten Kündigungen, fehlenden Möglichkeiten und geregelter Prozesse, um Einspruch gegen Entscheidungen der Plattformen einzulegen und weiteren negativen Aspekten. Es fehlen notwendige Voraussetzungen, Wissen und Instrumente zur Förderung fairer Arbeit in der Gig Economy auf nationaler und internationaler Ebene. Hier setzt die politische Initiative Gig Economy an.

Brasiliens Plattformarbeitende

 

Jessica, Marcelo und Juliana sind drei von mehr als 600.000 brasilianischen Arbeitenden, die täglich Aufträge über digitale Arbeitsplattformen entgegennehmen. Meist ohne faire Bezahlung, Arbeitsschutz oder das Recht, sich mit anderen Arbeitenden kollektiv zu organisieren – quasi ausgeschlossen vom Schutz des brasilianischen Arbeitsrechts.

 

Ein Klick, ein weiterer Auftrag für Jessica (24). Oft schafft sie drei Aufträge am Tag. Ein Arbeitstag dauert für Jessica meist länger als 12 Stunden. Seitdem sie 16 ist, arbeitet sie als Reinigungskraft für Kund*innen in São Paulo, die ihre Dienstleistungen über Plattformen buchen. Eigentlich möchte sie Ärztin werden.

Um zu ihren Aufträgen in der Stadt zu gelangen, fährt sie jeden Tag mehr als drei Stunden mit Bus und Bahn durch São Paulo. Zwei oder drei Aufträge am Tag bedeuten insgesamt 12 Stunden Reinigung. Jessica versucht die Zeit so aufzuteilen, dass sie ihren Kund*innen nicht im Weg steht. Sie spricht vorab immer mit ihnen, um zu erfahren, welcher Tag und welche Uhrzeit bevorzugt ist und strukturiert so ihren Tag.

Laut Jessica behält die Plattform mindestens die Hälfte der Auftragssumme als Servicegebühr ein. Aufträge in reicheren Gegenden sind für die Kund*innen teurer, doch der Stundenlohn für Jessica bleibt gleich.

Marcelo (55) verlor seinen Job in der Werbebranche und begann als Fahrer für Uber. Nebenbei führt er auch Privatfahrten durch und bietet Überwachungsdienste an. Insgesamt hat er bereits 13760 Aufträge ausgeführt.

Für einen kurzen Moment ist Marcelo Teil des Lebens fremder Menschen: Manche erzählen traurige, manche glückliche Geschichten. Es gibt Leute, die sich während der Fahrt mal richtig Luft machen müssen, dann fühlt er sich für kurze Zeit wie ein Psychologe. Er versucht den Personen einen Rat zu geben, wenn es ihnen schlecht geht, das verschafft ihm meistens viel Respekt.

Die Apps geben einem die Möglichkeit, sein eigener Chef zu sein. Marcelo weiß, dass man hierfür aber umso disziplinierter sein muss. Man kann den Zeitplan selbst bestimmen, man kann nachts, tagsüber, im Morgengrauen arbeiten – oder einen Tag aussetzen. Aber man muss ein Ziel vor Augen haben, denn ohne dieses wird es schwer. Da man nur sehr wenig verdient, muss man Methoden ausprobieren, wie man möglichst viel in wenig Zeit verdient.

Die alleinerziehende Mutter Juliana (34) arbeitet seit drei Jahren als Lieferantin für Plattformen wie iFood und Uber und ist viel auf der Straße unterwegs. Unterstützung von den Plattformen, wie einen Notfallknopf für Unfälle, Pannen oder Überfälle gebe es nicht, erzählt Juliana. Auf der Straße ist man auf sich gestellt – besonders als Frau.

Julianas Tage sind lang und sie ist viel auf den Beinen. Essenslieferungen sind nur ein Teil ihres Jobs,  außerdem arbeitet sie in einer Bar und verkauft Süßigkeiten in der Nachbarschaft.

Angekommen an der Bestelladresse sind Sätze wie „Wow, sie ist eine Frau, deshalb hat es so lange gedauert“ keine Seltenheit. Außer Acht gelassen wird hierbei, dass Juliana nur fünf Minuten für den Lieferweg gebraucht hat. Es war das Restaurant, welches mehr Zeit benötigte, um Juliana die Lieferung bereitzustellen. Die Reaktion bekommt jedoch sie ab.

Fotos © Fairwork / Rafael Vilela

Brasiliens Plattformarbeitende

 

Jessica, Marcelo und Juliana sind drei von mehr als 600.000 brasilianischen Arbeitenden, die täglich Aufträge über digitale Arbeitsplattformen entgegennehmen. Meist ohne faire Bezahlung, Arbeitsschutz oder das Recht, sich mit anderen Arbeitenden kollektiv zu organisieren – quasi ausgeschlossen vom Schutz des brasilianischen Arbeitsrechts. Wir haben sie in ihrem Alltag begleitet.

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Unser Ansatz

Die Gig Economy Initiative hat zum Ziel, die Voraussetzungen für faire Arbeit in der Gig Economy auf der Ebene der 1) Arbeiter*innen (Mikroebene), 2) Plattformen (Mesoebene) und 3) Schlüsselakteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft (Makroebene) zu verbessern. Dies wird erreicht durch Sensibilisierung und Wissensaufbau sowie Capacity Development bei relevanten Akteuren, Ausbau und Skalierung eines Bewertungsmechanismus für die Arbeitsbedingungen der Plattformen sowie nationaler und internationaler Bewusstseinsbildung für die Potentiale und Gefahren der Gig Economy.

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