Als VN-Technologiegesandter arbeiten Sie an globalen Strategien für eine gerechte digitale Zukunft. Doch beschädigte Unterseekabel stören Internetverbindungen, Tech-Giganten gewinnen politischen Einfluss und milliardenschwere Investitionen im Bereich künstliche Intelligenz (KI) konzentrieren sich auf westliche Industrieländer. Wie lässt sich unter diesen Umständen eine gerechte digitale Zukunft gestalten?
Die drängendsten technologischen Herausforderungen unserer Zeit – digitale Ungleichheit, geopolitische Spannungen und die Konzentration von Macht im Bereich KI – haben eine Gemeinsamkeit: Sie überschreiten nationale Grenzen. In einer global vernetzten Wirtschaft, in der Daten ungehindert fließen, ist digitale Zusammenarbeit daher unverzichtbar. Ein einfaches Beispiel: Sobald dieses Interview veröffentlich wird, reist der Inhalt über Server in mehreren Ländern, wird über Unterseekabel weitergeleitet und in Netzwerken gespeichert, die verschiedenen rechtlichen Bestimmungen unterliegen.
Um das Potenzial der Technologie nutzbar zu machen und Herausforderungen anzugehen wie digitale Ungleichheiten oder den gerechten Zugang zu den Vorteilen der KI, braucht es eine koordinierte globale Antwort. Der Global Digital Compact (GDC), als Teil des VN-Zukunftspakts, formuliert konkrete Schritte, um sicherzustellen, dass der digitale Fortschritt allen Menschen zugutekommt. Unser Büro, das VN-Büro für digitale und neu entstehende Technologien (UN Office for Digital and Emerging Technologies – ODET), unterstützt die Mitgliedstaaten der VN bei der Umsetzung dieser Vision. Wir konzentrieren uns dabei auf fünf Schlüsselbereiche: digitale Zusammenarbeit stärken, inklusive Multi-Stakeholder-Dialoge fördern, die VN-Leitung zu wichtigen Technologietrends beraten, Koordination im VN-System verbessern und bei der Umsetzung des GDC unterstützen.
Sie waren zum Start der zweiten „GovStack Women in GovTech-Challenge“ als Redner geladen. Dieser Wettbewerb unterstützt Frauen bei der Entwicklung konkreter digitaler Lösungen, damit Staaten besser funktionieren – und die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt werden. Welche Bedeutung hat ein solcher Wettbewerb vor dem Hintergrund, dass von 2,6 Milliarden Menschen ohne Internetzugang Frauen besonders betroffen sind?
Genau deshalb sind Initiativen wie die „Women in GovTech-Challenge“ entscheidend: Sie setzen ein starkes Zeichen und senden eine klare, inspirierende Botschaft für die Beteiligung und Führung von Frauen bei der Gestaltung der digitalen Verwaltung. Diese Sichtbarkeit wirkt gegen Stereotype und motiviert mehr Frauen aus verschiedenen Bereichen, sich zu beteiligen.
Vor allem aber bietet die Challenge Frauen konkrete Möglichkeiten, technisches Fachwissen und Führungskompetenzen zu entwickeln, um die Zukunft der digitalen Verwaltung aktiv zu gestalten. Die Teilnehmerinnen sammeln dabei praktische Erfahrungen mit den von uns definierten Leitplanken für digitale öffentliche Infrastrukturen (DPI), dem DPI Safeguards Framework, das sicherstellt, dass Grundsätze wie Sicherheit, Gleichberechtigung und Inklusion von Anfang an in digitale Lösungen integriert werden. Zusätzlich sorgt die Women in GovTech-Challenge dafür, dass die Bedürfnisse und Perspektiven von Frauen in digitale Innovationen einfließen.
Bei der „Women in GovTech-Challenge“ entstehen am Ende offene Lösungen für DPI. Dazu zählen auch digitale Zahlungssysteme oder digitale Identitäten – als Basis für den Aufbau eines souveränen digitalen Ökosystems. Warum sind offene, interoperable Systeme so entscheidend für wirtschaftliches Wachstum, gesellschaftliche Teilhabe und digitale Souveränität – insbesondere für Länder des Globalen Südens?
Wenn DPI flexibel und an lokale Gegebenheiten anpassbar ist, entstehen enorme Chancen. Ein Beispiel dafür ist Pakistan: Dort ermöglichen DPI sofortige digitale Zahlungen, wodurch Frauen in ländlichen Regionen erstmals Zugang zu Finanzdienstleistungen erhalten. Sie können so Kreditwürdigkeit aufbauen und finanziell unabhängiger werden. Darüber hinaus fördert offene und interoperable DPI das Wirtschaftswachstum, indem sie die Innovationskraft von Unternehmen beschleunigt, neue Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. So werden neue Arbeitsplätze geschaffen, der Wettbewerb wird angeregt und die wirtschaftliche Entwicklung gesteigert. Es entsteht ein positiver Kreislauf: Das Wirtschaftswachstum hilft Menschen aus der Armut und führt zu einer erhöhten Nachfrage nach grundlegenden Dienstleistungen, was wiederum die Produktion ankurbelt, höhere Einkommen und nachhaltigen Fortschritt schafft.
Digitale Transformation braucht Vertrauen auf allen Seiten – Menschen möchten sich darauf verlassen können, dass gerade staatliche digitale Dienste verlässlich und vertrauenswürdig sind. Wie trägt Ihre „DPI Safeguards Intitiative“ dazu bei?
Digitale Vertrauenswürdigkeit ist entscheidend für die digitale Transformation. Sorgen vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Sicherheitsrisiken können jedoch das Vertrauen in digitale Behördendienste beeinträchtigen. Die DPI Safeguards Intitiative geht direkt auf diese Bedenken ein – mit klaren Prinzipien und umsetzbaren Empfehlungen zur Risikominderung. Diese sorgen dafür, dass die Aspekte der Sicherheit, Inklusion und Menschenrechte über den gesamten DPI-Lebenszyklus hinweg verankert sind, damit digitale Systeme sicher, transparent und im Einklang mit dem öffentlichen Interesse bleiben. Das sichert nicht nur das Vertrauen der Nutzer*innen, sondern stärkt auch die langfristige Legitimität und Akzeptanz der DPI.
Wir erleben gerade eine rasante Entwicklung im Bereich der KI. „Deepmind“-Gründer Mustafa Suleyman warnte schon vor anderthalb Jahren vor der „herannahenden Welle“ („coming wave“), die uns zu überrollen droht, wenn wir keine Grenzen setzen. Brauchen wir weltweite Regeln speziell für KI? Oder brauchen wir insgesamt ein neues Verständnis von digitaler Governance und globalen Regeln für den digitalen Wandel?
Die Risiken und Chancen von KI sind sowohl immens als auch komplex, weshalb eine umfassende Governance notwendig ist, um mögliche Schäden zu begrenzen und die Vorteile zu maximieren. Eine globale Herangehensweise an KI-Governance ist dabei jedoch entscheidend, anstatt auf fragmentierte, länderspezifische Strategien zu setzen. Obwohl es viele Dialoge und Dokumente zu KI-Governance gibt, fehlt es diesen oft an umfassender Reichweite. Besonders problematisch ist die mangelnde Inklusion, vor allem der Perspektiven des Globalen Südens, die in internationalen Diskussionen häufig nicht berücksichtigt werden.
Es herrscht keine Einigkeit darüber, wie eine KI-Regulierung umzusetzen ist. Verschiedene Rechtsordnungen ringen mit der Interoperabilität und Anreizen zur Einhaltung der Richtlinien. Die Frage, ob verbindliche Vorschriften erforderlich sind oder ob unverbindliche Anreize ausreichen, wird weiterhin diskutiert. Ebenso sind die Abwägungen zwischen Zugang und Sicherheit sowie zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Schäden umstritten. Diese Herausforderungen werden durch das Fehlen eines gemeinsamen Verständnisses von KI in nationalen und multilateralen Rahmenwerken weiter erschwert. Deswegen ist es entscheidend, Raum für unterschiedliche regulatorische Ansätze zu schaffen, die die Vielfalt sozialer und kultureller Kontexte respektieren.