5 Fragen an… Ulrich van Bebber

Vor Kurzem hat die Bundesregierung ihre Strategie für die Internationale Digitalpolitik vorgestellt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat sich sehr aktiv in diesen Prozess eingebracht – manch einer mag sich da fragen: Was hat ausgerechnet das Entwicklungsministerium mit der internationalen Digitalstrategie zu tun?

Eine ganze Menge! Denn wir als BMZ sind das Ressort, das die graue Theorie der Strategie in unseren Partnerländern weltweit mit Leben füllt. Wir sorgen dafür, dass die digitale Transformation im Alltag ankommt – und vor allem: dass sie das Leben der Menschen verbessert. Deshalb war es uns als BMZ wichtig, die Stimme des globalen Südens in die internationale Digitalstrategie einzubringen. Zunächst ist es aber ein Erfolg an sich, dass wir in der Digitalpolitik über den Tellerrand schauen und uns erstmals in Deutschland eine internationale Digitalstrategie gegeben haben. Gerade aus Sicht des BMZ wissen wir, dass Digitalisierung wenig Rücksicht auf nationale Grenzen nimmt – das ist ein bisschen wie beim Klimaschutz.

Deshalb ist es gut, dass wir als Bundesregierung mit dieser Strategie Deutschland in der digitalen Weltordnung verorten und die digitale Transformation als globales Phänomen begreifen – jenseits nationaler Perspektiven. Denn die digitale Transformation birgt große Chancen für wirtschaftliche Entwicklung, für die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele – aber auch Risiken wie staatliche Überwachung, Desinformation, Verschärfung von Abhängigkeiten und Ungleichheit. Mit dieser Strategie reagiert die Bundesregierung auf diesen Zwiespalt und adressiert globale Herausforderungen wie digitale Spaltung – gerade auch zwischen den Geschlechtern, aktuell heiß diskutierte Themen wie Künstliche Intelligenz, digitale öffentliche Güter oder wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenpassen. Vor allem aber geht es um die Frage, wie wir ein offenes, freies und sicheres Internet erhalten können.

Starke Worte, aber was genau kann das BMZ dazu beitragen? Und stehen nationale Interessen gerade im Bereich Digitalisierung nicht den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit manchmal im Weg?

Bei der digitalen Transformation wiederholen sich vermeintlich längst überholte Stereotype: Die einen sind weit voraus – weil sie das Geld und die Ressourcen haben – und die anderen werden immer weiter abgehängt. Nur im digitalen Zeitalter geht diese Entwicklung noch viel schneller: Wir diskutieren hierzulande, wie wir KI am besten regulieren, während es in vielen unserer Partnerländer noch nicht einmal rund um die Uhr Strom für den PC gibt – und selbst wenn, ist der Zugang zum Internet in manchen Regionen unerschwinglich oder technisch unmöglich. Diese Gräben dürfen nicht größer werden, sie müssen kleiner werden, und zwar schnell! Und das ist in unserem eigenen Interesse, da sehe ich keinen Widerspruch. Deshalb setzen wir uns seit Jahren gemeinsam mit unseren Partnern für eine gerechte und nachhaltige digitale Transformation weltweit ein. Und es mag überraschen: wir Deutschen sind darin richtig gut und international sehr geschätzte Partner.

Ein Beispiel von vielen ist unsere GovStack-Initiative. Diese liefert, vereinfacht gesagt, kostenlose Bausteine, aus denen sich viele digitale Verwaltungsdienstleistungen passgenau zusammensetzen lassen. Klingt sperrig, ist aber überlebenswichtig, beispielsweise wenn es um so grundlegende Funktionen wie das Identitätsmanagement geht: Wenn mein Staat mich nirgends registriert hat, existiere ich für ihn nicht. Keine Geburtsurkunde, kein Pass, kein Zugang etwa zu medizinischer Versorgung oder staatlicher Unterstützung. Hier können wir mit GovStack und unseren Standardbausteinen unterstützen – den Aufbau digitaler Dienste erheblich beschleunigen und vereinfachen. Und siehe da: mittlerweile interessieren sich auch Verwaltungen bei uns in Deutschland für dieses Vorhaben. Denn darum geht es uns: Wir wollen Abhängigkeiten abbauen und bevorzugen Lösungen, die auf gegenseitigem Nutzen beruhen – wie digitale öffentliche Güter zum Beispiel. Wir glauben, dass Deutschland, andere europäische Länder und unsere Partnerländer gemeinsam daran arbeiten sollten, dass alle von der Digitalisierung profitieren.

Sie haben es eben schon angedeutet: das Thema KI ist in aller Munde und auch Thema in der internationalen Digitalstrategie. Wie schaut denn die Entwicklungszusammenarbeit auf das Thema künstliche Intelligenz?

Ich sage mal selbstbewusst: Im BMZ haben wir das Potenzial der KI deutlich früher erkannt als manch anderes Ressort. Für die Entwicklungspolitik sehen wir vor allem die Potenziale von KI für Klimaschutz und mehr Nachhaltigkeit. Künstliche Intelligenz kann z.B. für die Landwirtschaft angepasste Empfehlungen für Bewässerung, Anbaumethoden oder Düngung von Feldern ableiten. Oder ein Beispiel aus unserer Arbeit in Uganda: Gemeinsam mit der KI-Firma Sunbird AI haben wir ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Tool entwickelt, das mit Hilfe von Satellitenbildern Standortempfehlungen für erneuerbare Energiequellen erstellt. Das ist wichtig, denn in den ländlichen Regionen Ugandas haben rund 90 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität! Wenn nun ein Dorf zuverlässig mit Solarenergie versorgt wird, können Geschäfte und Betriebe länger arbeiten. Für eine Restaurantbesitzerin bedeutet das zum Beispiel, dass sie ihre Öffnungszeiten verlängern und ihr Einkommen deutlich steigern kann.

Das „AI“ in „fair“ in der BMZ/GIZ-Initiative FAIR Forward steht für artificial intelligence und soll einen gerechteren Zugang zu KI-Technologien fördern. Was bedeutet das konkret?

Versuchen Sie einmal, mit Alexa, Google Assistant oder Siri in einer afrikanischen Landessprache zu kommunizieren – alle drei werden höflich antworten, dass Sie sie leider nicht verstehen. Das mag zunächst einfach nur ärgerlich klingen – aber fehlende Sprachdatensätze sind eine Riesenhürde bei der Nutzung von KI. Dabei bieten Sprachassistenten enorme Möglichkeiten, z.B. für Analphabeten, die ein Smartphone auch zu schreiben bedienen können.

Mit unserer Initiative FAIR Forward setzen wir daher bei den Grundlagen der KI an – den Trainingsdaten: Wir fördern die Erstellung lokaler Datensätze, die wir als öffentliches Gut allen zur Verfügung stellen. Der von uns geförderte Sprachdatensatz in der ruandischen Landessprache Kinyarwanda zum Beispiel war inmitten von Corona Basis für eine in Rekordzeit entwickelte App, mit der sich Bürger*innen via Chatbot und SMS zu Corona informieren konnten. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir bisher Sprachdatensätze für rund 150 Mio. Muttersprachler*innen gefördert haben!

Also schöne neue Welt dank KI? Oder sehen Sie auch Risiken?

Natürlich, und man sollte sie nicht unterschätzen. Nehmen wir zum Beispiel die Desinformation. KI kann ein mächtiges Werkzeug sein, um Menschen in die Irre zu führen oder zu manipulieren – von Falschmeldungen bis hin zu täuschend echten Fälschungen. Das stellt demokratische Gesellschaften vor echte Herausforderungen! Und es gibt noch weitere Risiken. KI kann die digitale Kluft zum globalen Norden weiter vertiefen oder sich negativ auf die Arbeitsmärkte in unseren Partnerländern auswirken. Immer mehr Unternehmen lassen ihre KI von schlecht bezahlten Clickworkern in Entwicklungsländern trainieren, während andere Arbeitsplätze durch die Technologie gefährdet werden könnten. Deshalb überlegen wir, wie wir diese Risiken beherrschen und gleichzeitig die enormen Chancen nutzen können, die diese Technologie bietet.

Das beginnt damit, die Menschen über KI aufzuklären – auf unserer digitalen Lernplattform atingi.org gehören unsere kostenlosen und für alle zugänglichen Kurse zu verschiedenen Themen der Künstlichen Intelligenz zu den beliebtesten Kursen überhaupt: mehr als 80.000 Menschen haben sie bereits genutzt. Ein weiterer Aspekt unserer Arbeit mit FAIR Forward ist die Beratung von Regierungen. Unsere Partnerregierungen kommen auf uns zu und fragen: Wie können wir KI sinnvoll regulieren?

Das ist natürlich auch für uns eine spannende Frage, die jetzt mit dem EU AI Act eine neue Grundlage bekommen hat. Wir setzen uns für einen ganzheitlichen Blick auf KI ein. Dazu bringen wir Zivilgesellschaft, Regierungen, Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen an einen Tisch. Zum Beispiel haben wir im Rahmen der AfricAI-Konferenz mehr als 270 KI-Expert*innen aus 27 Ländern in Afrika und Asien zusammengebracht und praktische Fragen der KI-Politik diskutiert. Und bei der vom BMZ angestoßenen Hamburg Sustainability Conference im Oktober 2024 beleuchten wir gemeinsam mit UNDP, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, wie verantwortungsvolle KI zu mehr Nachhaltigkeit beitragen kann. Schöne neue Welt also sicher nicht – aber wir sind zuversichtlich, dass wir mit KI die Welt zumindest etwas besser machen können und das Leben von Millionen Menschen zum Positiven verändern.