Brasiliens Plattformarbeitende

 

Jessica, Marcelo und Juliana sind drei von mehr als 600.000 brasilianischen Arbeitenden, die täglich Aufträge über digitale Arbeitsplattformen entgegennehmen. Meist ohne faire Bezahlung, Arbeitsschutz oder das Recht, sich mit anderen Arbeitenden kollektiv zu organisieren – quasi ausgeschlossen vom Schutz des brasilianischen Arbeitsrechts.

 

 

Ein Klick, ein weiterer Auftrag für Jessica (24). Oft schafft sie drei Aufträge am Tag. Ein Arbeitstag dauert für Jessica meist länger als 12 Stunden. Seitdem sie 16 ist, arbeitet sie als Reinigungskraft für Kund*innen in São Paulo, die ihre Dienstleistungen über Plattformen buchen. Eigentlich möchte sie Ärztin werden.

Um zu ihren Aufträgen in der Stadt zu gelangen, fährt sie jeden Tag mehr als drei Stunden mit Bus und Bahn durch São Paulo. Zwei oder drei Aufträge am Tag bedeuten insgesamt 12 Stunden Reinigung. Jessica versucht die Zeit so aufzuteilen, dass sie ihren Kund*innen nicht im Weg steht. Sie spricht vorab immer mit ihnen, um zu erfahren, welcher Tag und welche Uhrzeit bevorzugt ist und strukturiert so ihren Tag.

Laut Jessica behält die Plattform mindestens die Hälfte der Auftragssumme als Servicegebühr ein. Aufträge in reicheren Gegenden sind für die Kund*innen teurer, doch der Stundenlohn für Jessica bleibt gleich.

 

Marcelo (55) verlor seinen Job in der Werbebranche und begann als Fahrer für Uber. Nebenbei führt er auch Privatfahrten durch und bietet Überwachungsdienste an. Insgesamt hat er bereits 13760 Aufträge ausgeführt.

Für einen kurzen Moment ist Marcelo Teil des Lebens fremder Menschen: Manche erzählen traurige, manche glückliche Geschichten. Es gibt Leute, die sich während der Fahrt mal richtig Luft machen müssen, dann fühlt er sich für kurze Zeit wie ein Psychologe. Er versucht den Personen einen Rat zu geben, wenn es ihnen schlecht geht, das verschafft ihm meistens viel Respekt.

Die Apps geben einem die Möglichkeit, sein eigener Chef zu sein. Marcelo weiß, dass man hierfür aber umso disziplinierter sein muss. Man kann den Zeitplan selbst bestimmen, man kann nachts, tagsüber, im Morgengrauen arbeiten – oder einen Tag aussetzen. Aber man muss ein Ziel vor Augen haben, denn ohne dieses wird es schwer. Da man nur sehr wenig verdient, muss man Methoden ausprobieren, wie man möglichst viel in wenig Zeit verdient.

Die alleinerziehende Mutter Juliana (34) arbeitet seit drei Jahren als Lieferantin für Plattformen wie iFood und Uber und ist viel auf der Straße unterwegs. Unterstützung von den Plattformen, wie einen Notfallknopf für Unfälle, Pannen oder Überfälle gebe es nicht, erzählt Juliana. Auf der Straße ist man auf sich gestellt – besonders als Frau.

Julianas Tage sind lang und sie ist viel auf den Beinen. Essenslieferungen sind nur ein Teil ihres Jobs,  außerdem arbeitet sie in einer Bar und verkauft Süßigkeiten in der Nachbarschaft.

Angekommen an der Bestelladresse sind Sätze wie „Wow, sie ist eine Frau, deshalb hat es so lange gedauert“ keine Seltenheit. Außer Acht gelassen wird hierbei, dass Juliana nur fünf Minuten für den Lieferweg gebraucht hat. Es war das Restaurant, welches mehr Zeit benötigte, um Juliana die Lieferung bereitzustellen. Die Reaktion bekommt jedoch sie ab.

Die politische Initiative Gig Economy setzt sich dafür ein, dass der Arbeitsalltag für Plattformarbeitende wie Jessica, Marcelo und Juliana fairer und humaner gestaltet wird. Erfahren Sie hier mehr!

 

Fotos © Fairwork / Rafael Vilela